Ein Nachruf auf Otto-Werner Seiler

Im Alter von 84 Jahren ist am 20. Januar in Hannover nach langer Krankheit Otto-Werner Seiler verstorben. Seiler hat über 66 Jahre den deutschen Galopprennsport geprägt, wie kaum eine andere Persönlichkeit. Sei es als Besitzer, Züchter oder Funktionär im Hannoverschen Rennverein und dem Verband in Köln, Otto-Werner Seiler hat sich immer vorbildlich zum Wohle des Sports in den Dienst der Sache gestellt und sich unermüdlich engagiert.

Bereits in jungen Jahren gab es für Otto-Werner Seiler die ersten Berührungspunkte mit den Vollblütern. Sein Elternhaus in der Redenstraße in Hannovers Südstadt war nicht weit von der Rennbahn Alte Bult gelegen und somit ein besonderer Anziehungspunkt. Schließlich war es sein Vater Werner Seiler, der 1953 den Einstieg in den Galopprennsport beschlossen hatte. Auslöser war eine Skatrunde, der neben Werner Seiler auch Fritz Grove, August Albrecht und Trainer Heini Schütz angehörten, und aus der schließlich der Stall Bischofshol hervorgegangen war.

Als sich Werner Seiler 1954 mit Urban sein erstes eigenes Pferd zulegte, war das der Grundstein für die traditionsreiche Geschichte des Stalles Steintor. Im Training bei Heini Schütz gewann Urban am 4. April in Mülheim an der Ruhr unter Horst Grotjahn den Preis von Mühlenberg und damit einen Ausgleich IV. Damit war Urban der erste Sieger in den Farben des Stalles Steintor.

Nur zwei Jahre später stieg der damals 19-jährige Otto-Werner Seiler als Teilhaber mit 25 Prozent am Stall seines Vaters ein. Die Größe des Stalles hielt sich dabei stets in einem kleinen und übersichtlichen Rahmen.

Eine Weichenstellung im Leben des Otto-Werner Seiler fand im Jahr 1962 statt, als der gerade einmal 25-jährige seine Meisterprüfung zum Fleischer ablegte und seine Frau Helga heiratete, die fortan die große Passion ihres Mannes unterstützt hatte und teilte. Parallel dazu hatte Otto-Werner Seiler nach dem Ausstieg seines Vaters aus dem Galopprennsport die komplette Verantwortung für den Stall Steintor übernommen.

Zuvor hatte Otto-Werner Seilers sein Vorhaben verworfen, eine Karriere als Amateurrennreiter einzuschlagen, woran vor allem sein Mentor Heini Schütz großen Anteil hatte, der einmal nach einer von Seiler gerittenen Morgenarbeit meinte: “Du hast keine Zeit, du bist zu schwer, und das Talent, das fehlt dir sehr.” Seiler zeigte Einsicht und entschied sich fortan reiten zu lassen, was sich im Nachhinein als eine kluge Entscheidung herausstellen sollte.

Nach dem sich die Anzahl der Pferde im Rennstall zwischen den Jahren 1954 bis 1969 im einstelligen Bereich bewegte, wurde in den Siebzigern kräftig expandiert. Anfang der Neunziger Jahre waren es weit über 30 Pferde im Training. Dabei fiel besonders auf, dass die Steintor-Pferde immer viel Zeit für ihre Entwicklung bekamen. Ein Markenzeichen, das sich über die Jahre auszahlen sollte.

Schöne Erinnerungen hatte Otto-Werner Seiler mit Samos verbunden, der in einem Jahr 10 Rennen gewann. Aber auch Sindbad war mit seinen 29 Karrieresiegen und einer Gewinnsumme von einer Viertel-Million D-Mark eine feste Größe des Stalles. Ein Lieblingspferd von Otto-Werner Seiler war Capo, der ein Erstling aus der guten C-Linie von Crab Tree war. Capo entwickelte sich trotz seiner bescheidenen Dimensionen zu einem Volltreffer auf der Hindernisbahn.

Auf Crab Tree gingen auch deren erstklassige Enkel Cognac und Constantin zurück, die in den Jahren 1986 (Cognac) und 1987 (Constantin) zum Hindernispferd des Jahres avancierten. Während dieser Zeit wurden auf der Neuen Bult jährlich bis zu drei Jagdrennen mit einer Dotierung von 100.000 DM entschieden. Den grün-weiß-schwarzen Dress vertraten auch Pferde wie James Bond, Mirando und Osterbote, der unter Peter Schiergen im Oktober 1984 einen zweiten Platz im Hauptjagdrennen der Vierjährigen belegte.

Aber auch im Halbblutsport war Otto-Werner Seiler ein großer Förderer. Hier sind vor allem die erfolgreichen und unvergessenen Schwarzwälder und Schwarzer Lord zu nennen. Schwarzer Lord schaffte es sogar bis in den Ausgleich I. Und natürlich darf bei der Aufzählung Lappländer nicht vergessen werden, der nicht nur bis ins hohe Alter über die Sprünge erfolgreich war, sondern auf dem der spätere mehrfache deutsche und italienische Hindernischampion Dirk Fuhrmann seine Reitkünste erlernte.

Doch Otto-Werner Seiler musste auch erleben, wie dicht Glück und Pech im Galopprennsport beieinanderliegen. So gab es manche Enttäuschung. In Frankreich wurde Nuage de Lait erworben, der nach Gewinnsumme zum erfolgreichsten Pferd avancierte und unter der Regie von Trainer Jacques-Hubert Barbe im Hindernismekka Auteuil den Prix Georges Courtois gewann. Der Wechsel nach Deutschland hatte sich dann wenig später aber als Fehler herausgestellt, da es ihm nicht mehr gelang, an seine guten Leistungen im Ausland anzuknüpfen. Das teuerste Pferd war mit Mannshour ein weiterer Frankreich-Import. Mannshour, der aus der Zucht des Aga Khan stammte, verunglückte nur wenig später in einem Jagdrennen und musste aufgegeben werden. Als positiver Frankreich-Kauf hatte sich dagegen Pendentif erwiesen, der nach einem Verkaufsrennen zu einem Schnäppchenpreis erworben wurde und anschließend in Deutschland 15 Rennen gewann.

Genannt werden muss auch der passionierte Züchter Otto-Werner Seiler, der vor allem mit den beiden Fährhofern San Vicente und dem viel zu früh abgetretenen Colon viele Akzente setzen konnte.

In 66 Jahren Rennsportgeschichte des Stalles Steintor sorgten über 400 Pferde für die unglaubliche Zahl von 1.608 Siegen. Dabei haben sich Weltstars wie Lester Piggott, Bill Shoemaker und Joe Mercer den Steintor-Dress übergestreift. Aber es waren vor allem die bodenständigen Leute, denen Otto-Werner Seiler sein Vertrauen schenkte. Dazu zählten u.a. Fredy Gang, Peter Alafi, Dirk Fuhrmann, Stephan Heiler, Meike Diedrichsen, Silke Günther und Marc Timpelan, um nur einige zu nennen. Sogar Hans-Heinrich von Loeper war in den Fünfziger Jahren des letzten Millenniums für die Familie Seiler in den Sattel gestiegen.

Nach dem sich die Wege von Otto-Werner Seiler und seinem Trainer Harald Grube 1992 nach vielen Jahren der gemeinsamen und erfolgreichen Zusammenarbeit getrennt hatten, nahm der Steintor-Eigner das Zepter selbst in die Hand und fungierte ab der Saison 1993 als Besitzertrainer und ab 1996 als Public-Trainer. Ende 2008 wurde Otto-Werner Seiler als Trainer von der Neuen Bult verabschiedet. Die Abschiedsrede hielten der Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulf und HRV-Präsident Gregor Baum. Kurz zuvor war es Seiler noch gelungen mit Schattenqueen den 1914 von Kaiser Wilhelm II gestifteten Kaiser-Preis in Baden-Baden zu gewinnen.

Auch wenn der Rennstall nach dem Rückzug von Otto-Werner Seiler als Trainer deutlich verkleinert wurde, gab es für den Stall Steintor weitere Erfolge zu feiern. Hierzu zählte 2011 der Sieg des von Elfi Schnakenberg trainierten Alanco auf der Jagdbahn im belgischen Waregem. Eine besondere Marke wurde im September 2018 in Quakenbrück erreicht, als der Halbblüter Shoemaker den 1.600 Sieg des Stalles Steintor markiert hatte. Den letzten Sieg für die Steintor-Farben gab es durch Arabino im Mai des vergangenen Jahres im französischen Fontainebleau. Stolz präsentierte sich Otto-Werner Seiler bei seinem letzten Rennbahnbesuch Ende Oktober des vergangenen Jahres in Verden, als er gerührt und von Tränen überwältigt den von ihm gezüchteten Halbblüter Soldat für Besitzertrainer Marc Timpelan als Sieger vom Geläuf abholen konnte.

Über 30 Jahre war Otto-Werner Seiler Vorstandsmitglied im Hannoverschen Rennverein und in dieser Funktion über eine Dekade von 12 Jahren Vize-Präsident. „OW“, wie ihn viele nannten, war während dieser Zeit vor allem hinter den Kulissen sehr aktiv. So gab es kaum eine Starterangabe ohne seinen persönlichen Einsatz. Vor allem sein Kontakt zur Aktiven-Basis und sein Einsatz für den Hindernissport sind unvergessen. Aus gesundheitlichen Gründen beendete Otto-Werner Seiler 1997 seine Vorstandsarbeit im Hannoverschen Rennverein. Für sein großes Engagement und seinen langjährigen, unermüdlichen und ehrenamtlichen Einsatz wurde Otto-Werner Seiler wenig später mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Insgesamt weist die Statistik der 66-jährigen Geschichte des Stalles Steintor bis zum heutigen Tage 1.608 Siege aus. Dabei zeichnete Otto-Werner Seiler für 513 Sieger als Trainer verantwortlich. Ihm gelangen 3 Championate als Besitzertrainer. Zudem erzielte der Stall Steintor insgesamt 19 Championate im Hindernissport. (22.01.2022/wis)